DIPOL LineArray – SSW
Der Schallschnelle-Wandler
In sämtlichen Schulbüchern "Grundlagen der Lautsprecher-Technik" wird schon bald als erstes der Effekt des gefürchteten "akustischen Kurzschlusses" erklärt, und warum deshalb jeder Lautsprecher ein auf ihn abgestimmtes Gehäuse benötigt. Die Varianten reichen von geschlossenen und ventilierten Systemen über Bassreflex, Transmission- Line bis hin zu Hornsystemen. All diese Bauformen und Hybride davon basieren auf der obligaten "Schalldruck-Theorie", weil wir ja auch mit (Schalldruck)-Mikrofonen messen und unsere Ohren Schalldruck- Wandler sind – physikalisch greifbare Materie also.
Nun beschreibt eine Sinuswelle aber nicht nur Schalldruck –Minima und –Maxima, sondern auch Geschwindigkeits –Minima und –Maxima. Wo der Schalldruck am grössten ist, ist die Gechwindigkeit = 0 (Peak), wo die Geschwindigkeit am grössten ist, ist der Schalldruck = 0 (Durchg.). So findet an der Schallwand-Kante eines offenen DIPOLs (I-Pol), dort wo sich die positive (von vorne) und die phaseninvertierte (von hinten) Sinus-Halbwelle auf halbem Weg treffen, zwar eine Schalldruck- Auslöschung statt, aber ein Schallschnelle-Maximum tritt auf. Betrachtet man das Anregungs - und Bewegungs -Verhalten der Luft-Moleküle bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten (Richtverhalten), so findet man die Antwort darauf, warum sich DIPOLE bezüglich Abstrahlverhalten, Schalldruckverlauf und Wirkungsgrad grundsätzlich von Monopolen (Gehäuselautsprechern), vor allem bei tiefen Frequenzen, unterscheiden.
Wir reden nun von dem Frequenzbereich, wo die Wellenlänge grösser ist als der entsprechende Membrandurchmesser, resp. länger ist als der kürzeste Weg von der Membran-Vorderseite zur Rückseite (DIPOL); also vornehmlich vom Tief- und Grundton-Bereich: BIPOLE (Gehäuselautsprecher) strahlen hier kugelförmig ab, verteilen also den Schalldruck gleichmässig um sich herum im Raum, währen zu den höheren Frequenzen hin (Mittel- und Hochton-Bereich) zunehmend eine Schallbündelung nach vorne (Schallwand-Achse) auftritt. DIPOLE hingegen richten ihre Schallenergie fast gleichmässig bist zu den tiefsten Frequenzen 8-förmig gerichtet in den Raum. Das heisst: es bildet sich frontseitig sowie rückseitig invertiert je eine an der Schallwand tangierende Kugel oder ähnlich (je nach Bauform), während auf der gedachten Achse der seitlichen Schallwand-Verlängerung kein relevanter Schalldruck messbar ist (also genau zwischen zwei Stereo- Lautsprechern). Der Vorteil liegt auf der Hand: Ohne im gesamten Hörraum (vor allem an Wänden und in Ecken) störende Raummoden (Resonanzen) anzuregen, kriegen wir mit dem DIPOL auch die Tieftonund Bassenergie gezielt auf den Hörplatz gerichtet, dort, und nur dort, wo wir sie wollen. Das Resultat ist eine klar konturierte Durchzeichnung und Transparenz bis tief in den Keller – frei von unmusikalischen Bauchmassagen und Ohrendröhnen. Auch zur Freude der Nachbarn... Aber: wo Licht ist, ist auch Schatten. Steht der DIPOL zu nahe an der Wand, trüben Frühreflexionen der rückwärtig abgestrahlten Schallenergie das Klangbild, vorallen in akustisch halligen Räumen. Seitliche Begrenzungen sind jedoch kein Problem für DIPOLE.
Soviel zur Abstrahlcharakteristik. Warum haben denn nicht längst andere schlauen Köpfe die Vorteile dieses Wandler-Prinzips, ich nenne es "Schallschnelle-Wandler", erkannt, aufgegriffen und realisiert, fragt man sich. Die Antwort ist so einfach wie ernüchternd: Sie waren ihrer Zeit voraus und/oder haben die Idee nicht genügend konsequent umgesetzt. Zwei markante Eigenheiten zeichnen dieses eigentlich geniale, oder vielmehr genial einfache Wandlerprinzips nämlich aus: ein eigenwilliges, nichtlineares Übertragungsverhalten und ein deutlich geringerer Wirkungsgrad.
Das Übertragungsverhalten hängt stark von der Gestaltung und Dimensionierung der Schallwand oder „Schallführung“ (bei verschiedenen DIPOL-Prinzipien) ab. Zudem verändert der Standort im Hörraum und die Wahl des Hörplatzes markant seine Übertragungs-Charakteristik im Bassbereich. So einfach, wie ein DIPOL aussieht, so komplex ist seine Technologie!
Nun werde ich (Harald Rupf) subjektiv, den Weg der physikalisch objektiven Darstellungen verlassen und wende mich zu meinen eigenen persönlichen Anschauungen und akustischen Problemlösungen, basierend auf meiner 30-jährigen Erfahrung im Lautsprecherbau sowie zahllosen Produkte-Entwicklungen und Versuchsaufbauten (empirische Grundlagenforschung). Mein Motto war immer: traue nur Deinen Ohren, CAD-Simulationen und Messergebnisse dienen lediglich der Analyse des gehörten Resultats.
Ein dynamischer Lautsprecher in einer offenen Schallwand (open baffle) arbeitet im unteren Frequenzbereich als „Schallschnelle-Wandler“ und kippt zu höheren Frequenzen hin dann sprunghaft in den Bereich, wo er als „Schalldruck-Wandler“ arbeitet. Wo sich dieser Sprung, eine Art „baffle step“ befindet, ist abhängig von der geometrischen Dimensionierung der Schallwand, des Membrandurchmessers und deren Platzierung (siehe oben). Da jedoch nicht nur dieser „unschöne“ Sprung im Frequenzgang das Bild trübt, sondern sich dort auch das Abstrahlverhalten (Polardiagramm) ändert, sowie auch das Zeitverhalten (Phase), die Sprungantwort (Impuls) u.a., verwende ich offene Systeme ausschliesslich entweder im einen oder anderen Bereich, also unterhalb des baffle steps als Schnellewandler, oder oberhalb als Druckwandler. Keinesfalls aber über den gesamten Frequenzbereich, obwohl sich die nichtlinearen Übertragungseigenschaften mittels aktiver Ansteuerung (Frequenzgang-Entzerrung) weitgehend korrigieren liessen, theoretisch.
Im Tiefbassbereich stehen verschiedene DIPOL-Bauformen zur Verfügung, auf die ich hier nicht näher eingehe (I / U / H / N / W / Linkwitz / Ridthaler etc.). Mit erweiterten Schallführungen und deren geometrischer Anordnung lassen sich Wirkungsgrad, Übertragungsverhalten und Richtcharakteristik beeinflussen. Mein Favorit ist der einfache I-Pol (kurze Schallwand), weil er auf jegliche weiteren Schallführungen verzichtet. Und wo nichts ist, kann nichts stören! Reflexionen und Strömungseinflüsse oder Kompression gibt’s nicht, die Impulsantwort ist optimal. Der niedrige Wirkungsgrad des I-Pols kompensiere ich mit der zeilenförmigen Anordnung mehrerer Treiber übereinander (LineArray). Zudem erreiche ich damit auch in der vertikalen Achse eine gewollte Schallbündelung, die Frühreflexionen am Boden vermindert und das Abstrahlverhalten optimiert. Dabei sind Treiber gefragt, die lange lineare Hübe erlauben, weil kein Gehäuse da ist, welches die Membranbewegung bremst und somit die Dynamik komprimiert. Die Schwingspule folgt ausschliesslich dem elektrischen Signal (Musik) und trottet nicht der Eigenresonanz (Luft-Masse- Feder) eines Schwingsystems (Gehäuse) hinterher. Gegen-EMK und Phasendrehungen bei langen Hüben verlangen hohe Dämpfungs-Faktoren bei Verstärkern, deshalb sind moderne D-Amps meine Empfehlung. Da bei langen Hüben jedoch akustische Doppler-Effekte im Mittelton-Bereich auftreten, empfehle ich deren Einsatz nur unterhalb 100 Hz als Subwoofer.
Ähnliches gilt auch für den Grundtonbereich, wo ich ebenfalls im „Schnellebereich“ arbeite. Die Membranfläche (Energiemenge) kompensiere ich, wie im Bassbereich, durch eine LineArray- Anordnung derselben Treiber, wiederum mit dem Effekt der Rundstrahl-Optimierung. Ich bevorzuge, aus diversen Gründen, im Grundtonbereich sowie im Mitteltonbereich dieselben Treiber einzusetzen (homogenes Signalverhalten im relevanten Hörbereich). Signifikant ist das absolut neutrale Klangverhalten und die besonders klare Feinzeichnung der dynamischen Treiber vor allem in diesem Bereich, weil jegliche Störeinflüsse von einem Gehäuse fehlen (Hohlraum-Resonanzen, Reflexionen, Modulationen etc.). Denn Membranen verhalten sich wie Mikrofone und nehmen auch Schall auf. Selbst aufwändigste Gehäuse-Dämmungen eliminieren diesen Überlagerungseffekt nicht, bremsen höchstens noch die Feindynamik. Also: das beste Gehäuse ist kein Gehäuse!
Im Mitteltonbereich arbeiten wir dann im „Druckbereich“, also ausschliesslich oberhalb des baffle step, mit den identischen Treibern wie im Grundtonbereich – und wiederum ohne Gehäuse! Bei grösseren Lautsprecher-Modellen, wo in grösseren Räumen ein eher grösserer Hörabstand zum Lautsprecher zu erwarten ist, bevorzuge ich die symmetrische Anordnung zweier Treiber um das Hochton-System herum, nach dem Prinzip von Joseph D’Appolito. Wiederum mit dem Resultat der Abstrahl-Optimierung und der Dynamik-Anpassung an das Grundton-System.
Der Hochtonbereich wird konsequenterweise wiederum von einem DIPOL-Wandler verwaltet, welches bauformbedingt immer im „Druckbereich“ arbeitet. Magnetostaten, offene Bändchen oder AirMotion-Transformer (AMT) stehen zur Wahl. Mein Favorit ist der konstruktiv einfache DIPOLMagnetostat (isodynamischer Folienwandler), getreu nach meinem Motto: „weniger ist mehr“...
Somit steht fest:
Ein offenes Lautsprecher-Konzept besteht aus mindestens 4 Kanälen (4-Wege):
Tiefbass- und Grundton-Systeme als Schnellewandler, Mittel- und Hochton-Systeme als
Druckwandler.
Die Ansteuerung solcher Systeme empfehle ich ausschliesslich mittels modernsten digitalen Signalprozessoren (DSP) vorzunehmen, welche erst seit kurzer Zeit in vernünftigen Preisklassen und ansprechender Qualität auf dem Markt erhältlich sind. Jeder Kanal (Weg) erhält seinen eigenen Endverstärker; die enormen Vorteile vollaktiver Lautsprechersysteme sind ja hinlänglich bekannt!
Somit kann das Frequenzspektrum mit steilflankigen, phasenstabilen Filtern (IIR/FIR) nahezu fehlerfrei in die besagten 4 Wege aufgeteilt, Wirkungsgrad-Unterschiede verlustfrei kompensiert und Nicht-Linearitäten exakt entzerrt werden. Passiv / analog elektronisch wäre dies unmöglich!
Damit nicht genug: Auch das Zeitverhalten (Gruppenlaufzeit und Phase) sowie die Impulsantwort (step response) können optimal korrigiert werden: Der Traum jedes Lautsprecher-Entwicklers! Denn das zeitrichtige Übertragungsverhalten des Lautsprechers über den gesamten Frequenzbereich ist absolut elementar, viel wichtiger noch als die Frequenzgang-Linearität. Wenn dies stimmt, dann erst klingt der Lautsprecher natürlich und bildet die Musik, Instrumente und Stimmen realistisch körperhaft und korrekt dreidimensional im Raum ab – über das Stereo-Dreieck hinaus. Wer das jemals so gehört und erlebt hat, weiss erst, was HIFI-Stereofonie ist und wird’s nie mehr vergessen! Man sitzt vor zwei Lautsprechern und hört sie nicht – nur die reine Musik, greifbar nahe im Raum.
Doch all dies trifft nur ein, wenn diese Bedingungen auch im Hörraum am Hörplatz zutreffen. Da wir normalerweise weder die Raumgeometrie noch die akustischen Eigenschaften (Nachhallzeiten) des Wohnzimmers wesentlich verändern können oder wollen, kommen uns auch hier die fast unendlichen Korrektur-Möglichkeiten moderner Signalprozessoren zu Hilfe.
Gerade DIPOL-Lautsprecher lassen sich aufgrund ihrer im Bassbereich präzisen Energieverteilung im Raum akustisch perfekt auf den Hörplatz optimieren, sollen und wollen dort auch durch den Akustikprofi individuell eingemessen werden, um ihre phänomenalen Eigenschaften voll zu nutzen.